Hinter jenem Walde Das Mädchen Adam schritt vorwärts. Stets behutsam nach links und rechts schauend.
Ein Blick nach unten schien nicht notwendig. Der Weg war fest und eben. So
als würden hier täglich Tausende entlangkommen; ihn festdrücken und für die
Ewigkeit präparieren; eine Last darauf legen; ihn zementieren. Die umliegenden Felder lagen brach. Sie schienen abgeerntet und umgepflügt.
Große Quader schweren Bodens begruben das Unkraut unter sich. Eine riesige
Wüste aus Lehm und Erde. Fern am Horizont lockte der nächste Wald. Der trübe Himmel ließ nur wenig Sonnenlicht hindurch. Graue Wolken
zogen behäbig ihre Bahn und kein Ton, kein Summen einer Hummel, kein Zirpen
einer Grille, konnte diese seltsame Stille unterbrechen. Adam hielt inne. Was war dies doch für ein stummes Land! Ein einsames
obendrein. Es barg wohl keine freiheitlichen Verlockungen, lebensfrohes Treiben
oder wichtige Erkenntnis. Graue Ödnis und Langeweile. So schien es zumindest. Doch halt! Am Wegesrand, hinter einem Busche, kauerte ein junges Mädchen.
Sie wimmerte leis. Adam näherte sich. Das Mädchen rief in klagendem Tone: „Was
tut Ihr hier!? Das dürft Ihr nicht! Weichet! Weichet!“ Danach vergrub sie ihr
Gesicht unter den Händen. „Junge Frau…“, wollte sich Adam tröstend um sie kümmern und berührte
sanft ihre Schulter. Das Mädchen fuhr empor und richtete sich auf. Ihre Augen funkelten und
ihr schwarzes Haar flatterte im aufkommenden Wind: „Gehet fort! Kehret um!
Nichts hier ist für euch bestimmt! Lebt Euer Leben!“ Sie war von großer Anmut. Das schlichte, graue Gewand unterstrich ihre
nahezu perfekte Figur. Ihr Gesicht war weich und wohlproportioniert, doch in
den Augen lag Trauer. Die Haut schien etwas fahl. Und die Stimme wirkte
brüchig. „Fremder, was immer Euch hierher geführt hat! Lasst es nicht von Euch
Besitz ergreifen! Kehret um und lebt in Freiheit!“ Adam zeigte sich verwundert: „Freiheit? Ich meinte, eben diese hier zu
finden. Da wo ich herkomme, lebt man in vorgegebenen Bahnen und verfolgt
lineares Glück! Genau daraus wollte ich doch ausbrechen!“ Das Mädchen lächelte spöttisch. Der Wind hatte sich wieder gelegt. Sie
deutete auf die umgepflügten Felder. „Nur zu! Überwindet diese Felder und Ihr
werdet sicher frei sein!“ „Ich würde darin umkommen!“ „Ist es nicht das, was Ihr insgeheim wünscht?“ „Oh nein! Ich möchte diesen Weg hier beschreiten, um in den dort vorn
liegenden Wald zu gelangen.“ Adam deutete zu den Bäumen in der Ferne. Das Mädchen seufzte: „Das ist doch auch wieder nur eine vorgegebene Bahn,
die in ein vermutetes lineares Glück führt, oder?“ „Aber ich habe mich frei dafür entschieden! Auch kenne ich nicht das
Ende des Weges, die Folgen meines Tuns oder auch die Gefahren. Der Weg ist
nur ein Hilfsmittel, kein Selbstzweck. Er könnte auch ins Verderben führen.
Dieses Risiko nehme ich in Kauf!“ Adam wirkte entschlossen. Der Himmel schien sich zu verfinstern. Der
abgeflaute Wind geriet nun wieder zu einer heftigen Prise und das Mädchen
raunte mit heiserer Stimme: „Dieser Weg ist nicht für Euch bestimmt!“ „Wer legt das fest?“ „Oh Fremder! Glaubt Ihr wirklich an die alleinige gestalterische Macht
von Euch selbst? Davon, dass es außer Eurer Vorstellung keinerlei höhere
Ordnung gibt?“ „Diese Ordnung hat mir diesen Weg gezeigt. Jetzt bin ich hier und
kehre nicht um.“ Eine heftige Sturmböe unterbrach Adam. Es begann zu regnen. Das
Mädchen musste schreien: „So glaubt mir doch! Ihr werdet nicht das finden,
was Ihr offenkundig sucht! Kehret um! Ich flehe Euch um Eurer selbst Willen
an!“ Sie hatte Tränen in den Augen. Dann sank sie vor ihm auf die Knie. Adam hatte Mitleid mit der Kleinen. Doch er konnte nicht umkehren. So
tat er einen Schritt nach vorn. Ein gespenstisches Heulen hob an. Der Himmel
wurde schwarz und das Mädchen rief verzweifelt: „Haltet ein! Haltet ein!“
Hagelkörner trommelten auf die beiden. Adam beugte sich schützend über das
Mädchen. Doch schon nach wenigen Sekunden musste er feststellen, dass unter
ihm nur noch das leere Gewand lag. Der Himmel klarte auf.
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